„Wir können nicht die Welt retten? Doch!“

Die Fachwerkstatt „Auf die Bühne mit dem Klimaschutz“ haben der Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) und das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) in Kooperation mit Verband Deutscher Freilichtbühnen (VDF) initiiert. Sie war der erste Meilenstein im BDAT-Jahresschwerpunkt „Klimaschutz und Nachhaltigkeit“. Den Schwerpunkt haben BDAT und BBE gemeinsam angestoßen, um Klimaschutz und Nachhaltigkeit von der individuellen auf die gesellschaftliche Ebene zu heben.

Eine Reportage von Jessika Knauer
Die Schauspielerinnen betreten die Bühne, aber das Licht bleibt aus. Gemurmel im Publikum – dann eine Stimme aus dem Dunkel: „Wir heißen Sie herzlich Willkommen zur Aufführung von Romeo und Julia. Wie viel Sie heute von dem Stück sehen, hängt von Ihnen ab.“ Lampen leuchten auf und scheinen auf eine Reihe aufgebockter Räder. „Der Strom wird nur für wenige Minuten reichen. Wir können zusammen daran arbeiten, dass die Vorführung weitergeht.“

Eine Dystopie mit möglichem Happy End – so oder so ähnlich könnte es aussehen, wenn Theater einen Blick in die Zukunft wagen. Diese Theaterszene ist – wenngleich etwas ausgeschmückt – eine von vielen Ideen, die bei der Fachwerkstatt „Auf die Bühne mit dem Klimaschutz“ am 9. und 10. Juni 2023 in Paderborn aufkamen. 22 Vertreterinnen des Bundes Deutscher Amateurtheater hatten sich aus allen Ecken Deutschlands in der Freileichtbühne Schloss Neuhaus zusammengefunden, um gemeinsam über kreative Wege für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit nachzudenken.

„Wir sind uns bewusst, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit keine Themen sind, die man an zwei Tagen abhakt. Es geht uns eher um die Frage: Wie können wir anfangen? Wie können wir das gestalten? Wie können wir ins Gespräch kommen und voneinander lernen?“
Nils Hanraets, Bund Deutscher Amateurtheater

Die Folgen des Klimawandels und die Möglichkeiten zum Gegensteuern sind große Themen – zu groß für ein Wochenende und zu groß für eine Person allein. Amateurtheater können den notwendigen kulturellen Wandel begleiten. Sie können öffentlich für Klimaschutz einstehen und mit gutem Beispiel vorangehen. Sie können das Thema auf die Bühne bringen, Kontroversen aufgreifen und die Akzeptanz in der Gesellschaft fördern. Die Fachwerkstatt sollte hierfür ein Anfang sein.

Akt 1: Klimafreundlich ohne Absicht
Für die meisten Amateurtheater sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit naturgegeben. Verglichen mit großen Bühnen sind die Fördersummen verschwindend gering. So kommt es, dass Amateurtheater seit jeher nachhaltig arbeiten und – oftmals unbewusst – das Klima im Kleinen schützen. Die Teilnehmer*innen der Fachwerkstatt lieferten dafür etliche Beispiele.

„Klimaschutz hinterlässt bei mir oft den Eindruck, etwas falsch zu machen oder ein schlechter Mensch zu sein. Hier habe ich zum ersten Mal das Gefühl: Klimaschutz ist nichts, zu dem ich von außen gezwungen werde. Es ist etwas, das ich tatsächlich machen kann.“
Chris Malassa, Freilichtbühne Schloss Neuhaus

Die Drahtzieherinnen aus Stuttgart greifen Klimathemen wie Feinstaub auf. Die Bühnen in Meppen und Elmshagen haben ihre Beleuchtung auf LED umgestellt. Die Freilichtbühne Herdringen verteilt im Team auffüllbare Trinkflaschen. Die Freilichtbühne Schloss Neuhaus verschenkt ausrangierte Kostüme und Bühnenbilder an Menschen aus ihrem Umfeld. Die Freilichtbühne Coesfeld baut gerade eine Datenbank für Requisiten auf. Sich diese Schritte bewusst zu machen, sie als Erfolge zu feiern und für andere sichtbar zu machen, war eines der Ziele der Fachwerkstatt.

Akt 2: Wenn Klimaschutz auf die Realität trifft
In anderen Bereichen erfordern Klimaschutz und Nachhaltigkeit größere Anstrengungen und einen Kampf gegen bestehende Strukturen. Die Mobilität – das Fokusthema des ersten Tages – ist hierfür das beste Beispiel. „Viele Amateurtheater liegen im ländlichen Raum. Bei den Maßnahmen zur nachhaltigen Mobilität haben wir keine Chance“, sagt Jörg Dreismann vom Verband Hessischer Amateurtheater. Die Probleme sind überall dieselben: Haltestellen sind kilometerweit entfernt, Bahnen und Busse fahren selten, Busfahrerinnen fehlen, Sonderfahrten sind für die Theater zu teuer und für die Unternehmen nicht profitabel, gut ausgebaute Fahrradwege sind rar.

Die Wahl des Verkehrsmittels ist so oft schnell getroffen. Die Fahrt mit dem Auto unattraktiver zu machen – zum Beispiel indem man die Zahl der Parkplätze reduziert –, ist keine Lösung. „Die Leute parken – egal wie und wo. Wir mussten die Parkfläche sogar vergrößern, damit die Leute sich nicht vor Feuerwehrzufahrten stellen“, sagt Harald Soldan vom Verband Hessischer Amateurtheater.

Die Lösung liege vielmehr im „Push and Pull“, wie Anika Meenken vom Verkehrsclub Deutschland erklärt. Meenken war online zugeschaltet und zeigte Möglichkeiten auf, um Menschen zum Nutzen von Bus und Bahn zu animieren. „Die Reduktion allein wird nichts bringen. Dann sind die Theater am Ende diejenigen, die kein Publikum mehr bekommen. Wir können den Kreislauf aber durchbrechen, indem wir zeitgleich neue Angebote fördern.“ Die neuen Angebote reichen vom Abstimmen der Spiel- an Fahrpläne bis zu Leihrädern für die Fahrt zum Bahnhof. Bei all dem braucht es jedoch Geduld und einen langen Atem. Meenken räumt ein: „Die Strukturen im Verkehr haben sich über die letzten 100 Jahre entwickelt. Das zu verändern, ist ein riesiger gemeinschaftlicher Kraftakt.“

„Die Verkehrswende ist ein total lokales Thema. Die Bundesregierung setzt zwar den Rahmen. Aber die eigentliche Verkehrswende passiert in den Städten, Gemeinden und Ortschaften.“
Anika Meenken, Verkehrsclub Deutschland

Amateurtheater können im Kleinen vormachen, wie Pull-Maßnahmen aussehen können. Auch das haben die Teilnehmer*innen der Fachwerkstatt bewiesen. Im Sauerland etwa erhalten Pensionsgäste ein Ticket für die Freilichtbühne Hallenberg inklusive Transfer. Das Altstadt-Theater Hornburg bietet „ein Radler für Radler“. Die Freilichtbühne Schloss Neuhaus hat – nachdem die Stadt das Aufstellen von Fahrradständern verboten hat – einfach die Fahrradständer der benachbarten Schule ausgeliehen. So entstehen viele kleine Impulse, die zusammen zu etwas Großem anwachsen können.

Akt 3: Das Amateurtheater der Zukunft
Am zweiten Tag der Fachwerkstatt gehörte die Bühne Lisa-Marie Hobusch, die die künstlerische Produktion an der Berliner Schaubühne mit dem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit leitet. Ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit ist es, CO2-Emissionen zu berechnen, zu zählen und zu senken. „Im Vergleich zur Wirtschaft ist unser Fußabdruck relativ klein. Da haben wir nicht viele Möglichkeiten“, sagt Hobusch. Die Möglichkeit, die sie hätten, wäre aber ein riesiger Handabdruck. Beim Handabdruck geht es nicht um die CO2-Bilanz des Einzelnen oder eines Theaters. Es geht um die positiven Einflussmöglichkeiten. Es geht darum, nachhaltigere und gerechtere Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, von denen viele Menschen profitieren. Für Amateurtheater ist es ein Weg, um Klimaschutz im Kleinen attraktiver zu machen.

„Wir können nicht die Welt retten? Doch! Wir können unsere kleine Welt retten, wir können unsere kleine Welt besser machen und damit Impulse setzen.“
Lisa-Marie Hobusch, Schaubühne Berlin

Was Hobusch den Teilnehmer*innen der Fachwerkstatt mitgeben will, ist die Lust und den bedingungslosen Mut zum Ausprobieren – auch wenn sie dabei scheitern. „Durch das Scheitern lernen wir. Und wenn wir unsere Misserfolge kommunizieren, können sogar andere davon lernen.“

Die Aufgabe des zweiten Tages war folglich die Vorstufe des Ausprobierens: ein Brainstorming zum utopischen Theater. Wie sähe das Theater der Zukunft aus, wenn es keinerlei Einschränkungen gäbe und alles möglich wäre? Wie ist es organisiert? Welche Geschichten erzählt es? Wie sieht das Bühnenbild aus? In drei Gruppen haben sich die Teilnehmer*innen einzelne Ideen herausgepickt und versucht, diese konkret zu machen: Stücke aus der Zukunft und über die Zukunft, Geschichten über Utopien und Dystopien, Ideen für digitale Bühnenbilder oder ein mobiles Theater, Möglichkeiten, über Klimaschutz zu reden und lokale Netzwerke zu nutzen.

„Klimaschutz ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Die Frage ist doch: Warte ich darauf, das in meinem Umfeld etwas passiert oder möchte ich selbst Impulse setzen?“
Michael Lindauer, Amateurtheaterverband Niedersachsen

Was sich bei der Aufgabe schnell zeigte: Träumen ist gar nicht so einfach. Die Visionen vom Theater der Zukunft erlöschen in dem Moment, in dem sie auf die Erfahrungen und die „Ja, aber“-Stimme im Kopf treffen. Die gute Nachricht ist: Sie werfen auch viele Fragen auf: Welche Materialien sind tatsächlich nachhaltiger? Wie können wir Künstliche Intelligenz nutzen? Wie arbeiten wir nachhaltig, ohne die Kunstfreiheit einzuschränken oder die Erwartungen des Publikums zu enttäuschen?

Zwei Tage Fachwerkstatt konnten natürlich nicht alle Fragen beantworten. Aber sie sind ein Anfang zum Weitermachen. Jetzt geht es darum zu schauen, was möglich ist. Oder um mit den Worten von Petra Newiger vom Berliner Theater der Erfahrungen zu schließen: „Es ist zu spät, um pessimistisch zu sein. Zu gucken, was wir beitragen können, ist ein guter Ausgangspunkt.“

Jessika Knauer ist freie Autorin und Journalistin mit dem Schwerpunkt „Umweltschutz und Inklusion“. Sie ist Teil von tuml.berlin, einem inklusiven Buchprojekt für Bücher in Leichter Sprache.
Kontakt: www.jessikaknauer.de, mail@jessikaknauer.de